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25. Oktober 2020

Gastbeitrag von Deinantiheld

Heute präsentieren wir euch im Asp-Newsjournal einen Gastbeitrag von Mattes, von der ausgezeichneten Comic-Website DeinAntiheld.de, der außerdem für den Comic-Podcast POW mitverantwortlich ist.
Er hat sich für euch mit "Zwielichtgeschichten Band 0" beschäftigt:

Unter „Nullnummer“ verstehen viele Menschen in der deutschen Umgangssprache etwas Enttäuschendes. Personen, Ereignisse oder Dinge, auf die man sich gefreut hat, die sich hinterher aber als nicht so erstrebenswert oder spektakulär wie erhofft herausstellen. Bei der Zeitung ist die Nummer Null hingegen eine Art Prototyp, den man potentiellen Anzeigenkunden vorlegen kann. Unter Comic-Freunden und -Sammlern wie meinem Freund Asp steht die scheinbar wertlose Ziffer aber häufig hoch im Kurs. Insbesondere in amerikanischen Heftserien, etwa bei den heute so populären Superhelden, ist sie ein besonderes Bonbon, das die vorhandene epische Story ergänzt, ihr zusätzliche Tiefe verleiht, dabei aber vorgelagert und zum Verständnis nicht zwingend notwendig ist.

Selbstverständlich beginnen solche Serien in aller Regel mit der Nummer Eins. Zu besonderen Anlässen, wie großen Publikumsmessen, einem Serienjubiläum oder einer Verfilmung, erscheinen dann häufig Sonderausgaben, die den gegebenen Anlass gebührend feiern sollen. Sie bieten Raum für Gastbeiträge anderer Künstler oder ganz andere, von der Hauptreihe abweichende Erzählweisen oder Stimmungen. In den Neunzigern druckte man dann gern die Null in das Nummerierungsfeld, denn ganz häufig wurden hier besonders unerwartete Dinge über die geliebten Comichelden offenbart, die sich zeitlich oft vor der eigentlichen Handlung abspielten und ganz neue Einblicke gewährten.

Durch ihre nicht frei verkäufliche Natur sind diese Ausgaben den wahren Fans vorbehalten. All jenen leidenschaftlichen Jägern, Sammlern und Mitfiebernden, die extra zu Veranstaltungen reisen oder unzählige Shops abklappern, um dieses für den Gelegenheitsleser vielleicht nicht so wichtige, für echte Enthusiasten aber unverzichtbare Artefakt und Puzzleteil ihrer Lieblingsgeschichte zu ergattern.

Für Asps wundervolle, audiovisuelle „Zwielichtgeschichten“ ist „Windrad“ genau so ein Puzzleteil. Seine unverwechselbaren, atmosphärisch dichten Texte sind dieses Mal nicht der zentrale Bestandteil, der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, um den sich die Illustrationen tummeln, wie wir es von seinen bisherigen stimmungsvollen Bilderbüchern gewohnt sind. Stattdessen wehen sie dezent und demütig um die endlich wieder erwachte Fauna unseres ausgezehrten Planeten. Ein neues Kapitel aus einer völlig anderen Perspektive mit einer wichtigen und dringenden Botschaft, die vortrefflich zu den anderen, deutlich fantastischeren Storys der liebevoll-ambitionierten Reihe passt. Dabei ragt sie aber viel weiter in unsere reale Welt mit ihren allzu realen Bedrohungen hinein. Denn auch wenn man sich gern in Asps fremde und dabei doch seltsam vertraute Welten entführen lässt, sollte man nicht vergessen, dass sie in dieser Realität ihren Ursprung nehmen. Einer Realität, die sich augenblicklich in einem beängstigenden Strudel aus Zerstörung, Hass und Selbstsucht befindet. Und kann es etwas Schöneres geben, als sich einer bezaubernden Geschichte zu ergeben und dabei nicht nur stumpf der Wirklichkeit zu entfliehen, sondern sich gleich noch Vorsätze für das echte Leben daraus mitzunehmen?

Windrad ist also sicher keine Nullnummer im Sinne des Volksmundes, sondern vielmehr eine Übernummer geworden. Oder vielleicht sogar ein drohendes Zero eines längst begonnenen Countdowns, welches abzuwenden der Bildband eindrucksvoll nahelegt.


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