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14. Oktober 2007

Willkommen zurück im Dunklen Turm, Teil 1

"Süße Nona.
Ich hatte Dich so oft gewarnt. So oft! Aber Du wolltest nicht hören. Du wolltest es einfach nicht sehen. Du wolltest nicht glauben.

Ich kann es kaum beschreiben, dieses Unbehagen, das mir die Nähe eines anderen Menschen verursachte:
Als läge eine Aura aus elektrischer Spannung um uns alle: ein summendes, wisperndes Gewimmel von Milliarden von winzigen, bösartigen Fluginsekten. Ein Schwarm von unzähligen geflügelten Chitinpanzern , mandibelklackernd, ihre Beinchen wie hornige Raspeln aneinander reibend. Und bei jeder Berührung das Gefühl, als stieben die kleinen Biester in einer kleinen Wolke auseinander, dort, genau dort, wo meine Finger nackte Haut berühren. Sie krabbeln herüber zu mir und es schüttelt mich vor Ekel. Es reizt mich. Es treibt mich zur Raserei.
Diesmal: Alles anders. Du und deine Aura aus quecksilbrig strömendem, lauem Mondschein. Eine Fieber kühlende aber Frost vertreibende Aureole, die sich unter einem Kleid aus Schatten Bahn bricht.

Es war schön, als du hier warst. Es ist viel zu lange her gewesen, dass ich jemanden eingelassen habe. Und doch: Du konntest der Versuchung nicht widerstehen, in so manchen finsteren Korridor zu blicken, den diese Behausung für uns bereithält. Ich warnte dich vor den Irrlichtern, den wispernden Stimmen, die des Nachts aus der Tiefe emporsteigen wie zarte Nebelschwaden. Die einander im Wind umtanzen wie Seegras tief unten auf dem Meeresboden, in so abgründigen Tiefen, dass der Sturm, der an der Oberfläche tobt, sie nicht berühren kann.

Es lockten endlich Dich die Abgründe, wie auch die Abgründe von Dir gelockt wurden. Und so erwachte schließlich das Böse in der Tiefe, und mit ihm erwachte der Hunger, die Begierde, deine schimmernde Mondscheinaura zu verzehren und sich von ihr zu nähren.

Und es kriecht seitdem in jeder Nacht ein bisschen höher während wir unruhig schlafen."

Viele Geschichten, die über die vergangenen Jahre über den Dunklen Turm erzählt worden sind, haben sich gerade in jüngster Zeit in den Köpfen sicher auch durch die aufwändigen Illustrationen von Ingo Römling manifestiert. Ihm gilt immerwährender Dank für seine Anstrengungen, die Bildwelten, die vor meinem geistigen Auge existieren so exakt wie möglich an die Oberfläche zu holen. Dieser Prozess erinnerte oft viel mehr an die Arbeit eines Bildhauers, der dem Stein die Formen entlockt, die er in sich trägt, und nicht selten fehlten die Worte, die namenlosen Schatten aus der Tiefe zu beschreiben und in die unteren Ebenen vorzudringen, dorthin, wo kein Lichtstrahl dringt. Ich fürchte gestehen zu müssen, dass er mich wohl das eine oder andere Mal auch zu recht ziemlich verflucht hat wegen meiner Geschichten, die ich so und nicht anders bebildert wollte und die ich ihm zum Teil auch so unerbittlich detailliert abverlangte, dass unsere Freundschaft mehrmals auf eine harte Probe gestellt wurde.
Und ich für meinen Teil ersehnte mir nicht selten die Zeiten am Anfang der Erzählung zurück. Zeiten in denen unser Label noch nicht entdeckt hatte, dass dieser Wahn, ein Gesamtwerk dieses Umfanges und die dazugehörenden Artworks zu konzipieren, sogar dafür sorgten könnte, dass in den Zeiten von illegalen Musicdownloads ein kleiner Anker in die felsige Brandung des Musikmarktes geschlagen werden konnte.
Ich wünschte mir manchmal, die durch unsere Musik vor dem inneren Auge erwachsenden Bilder des Hörers für sich selbst stehend zu wissen, ohne, dass so viele Bilder schon vorgegeben sind. Denn, wie an anderer Stelle schon beschrieben, ich finde den Gedanken wunderbar, dass aus den Erzählungen und der Vorstellungskraft des jeweiligen Konsumenten und der Musik ein eigenes Kunstwerk entsteht, und je mehr Zuhörer die Musik hat desto größer ist die Zahl der Variationen.
Ingo hat es jedoch verstanden, diese Welt um ein weiteres Element zu ergänzen und ich bin nach wie vor sehr begeistert von unserer Arbeit und stolz auf die Ergebnisse. Ich habe aber auf der anderen Seite nie die Furcht verloren, dass zu starke visuelle Stützen die eigene Interpretation einengen könnten, so, wie eine Verfilmung eines geliebten Romans sehr oft als unpassend und unangemessen empfunden wird.
Als ich also schließlich mit jemandem Bekanntschaft schloss, der bewegtes Bild zu unserer Musik ermöglichen konnte, durchlief ich die üblichen Phasen von Skeptizismus über pure Ablehnung hin zu fasziniertem Grauen.

Fortsetzung folgt