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30. August 2010
ASPipediaaah, oder: Vorsicht, Schwarm!
In jüngster Zeit wurde ich vermehrt darauf angesprochen, welchen Einfluss die goldenen Zeiten des großen kommerziellen Erfolges auf meine Statements gehabt hätten, die ich in der 2010er-Proklamation angesprochen habe. Das hielt ich natürlich für eine feinsinnige Anspielung auf die in der Szene zum guten Ton gehörenden „Ihr seid keine Szeneband!“ und „ASP=AUSVERKAUF“-Parolen, welche zwar ermüdend sind und auch gehörig nerven, an die ich mich aber im Laufe der letzten Jahre zähneknirschend gewöhnt habe.
Kurz: Ich dachte mir ausnahmsweise nicht viel dabei.
Ebenfalls gewöhnt habe ich mich ja an die Tatsache, dass ich in den vergangenen Jahren ständig mit „Alex“ oder sogar „Herr Spreng“ angesprochen werde (vereinzelt sogar mit „Matthias“, was mich sehr, oder mit EySie, was mich vollends verwirrt). Okay. Ich habe zwar keinen Hehl daraus gemacht, dass ich beides hasse wie die Pest, aber gut, weshalb auf meine Eigenarten Rücksicht nehmen…?
Als aber in der à–ffentlichkeit verstärkt der abstoßende und mittlerweile auch schon ziemlich ausgelutschte Begriff „Neue Deutsche Härte“ im selben Atemzug mit ASP benutzt wurde, da stutzte ich schließlich und fragte mich, wo der ganze Blödsinn herkommt. Pardon. Für mich ist NDH leider ein viel zu häufig deutschtümelndes Schlagerschaf im Rockwolfsfell. Da wird mir ganz übel.
Ich tat das, was heutzutage jedes halbwegs clevere Kerlchen getan hätte:
g o o g e l t e
diese Begriffe, ASP und NDH, gemeinsam.
„Oha“, dachte ich, „das sind ja einige interessante Ergebnisse“. Und fast alle aus dem so genannten „journalistischen Bereich“. (In unserem Fall heißt journalistisch zu mindestens 50% übrigens: „...mache in meiner Freizeit so ne Website über Bands“. Ist ja kein schlimmes Hobby, solange man auch gescheit schreiben oder zumindest einigermaßen gut „zitieren“ kann.)
Da allerdings kommen wir zur Ursache meiner ganzen Verwirrung. Teils waren das sogar die Online-Versionen von recht seriös anmutenden Tageszeitungen, die die immer selben (nicht besonders gelungenen) Formulierungen benutzten. Also gab ich komplette Phrasen mal am Stück ein, um die Suche einzuschränken und wo landete ich?
Na klar.
Bei unser aller Lieblings-Nachschlage-Seite im World Wide Web:
Bei Wikipedia!
Ja, genau. Bei der berühmten Online-Enzyklopädie. Und bei der es bekanntermaßen einen Eintrag über unsere kleine Gruftkapelle gibt. Ach nee, das wird schon zu Anfang gleich richtiggestellt! Wir sind ja in Wirklichkeit eine Band, „die in ihrer Musik Einflüsse aus Alternative Rock, Neue Deutsche Härte, Elektronik und vereinzelt auch Folk verarbeitet und mit einer Gothic-ähnlichen Attitüde verknüpft.“
Das klingt ja irgendwie gar nicht true oder authentisch, autsch. Aber gut. Wenn es Wikipedia sagt, dann wird's schon stimmen und ich lasse mich ja gerne belehren.
Was mich allerdings stört, und zwar nicht so knapp, ist der Umstand, dass wir mit NDH in eine musikalische Schublade gesteckt werden, gegen die ich mich absolut sträube. Tja, da stehn wir. In bester Gesellschaft zwischen lauter Namen, die hart wie Kruppstahl klingen und reichlich Testosteron vermuten lassen. Aber die Kollegen können auch nichts dafür und ich vermute, so manch einer würde sich über diese Kategorisierung ebenso wenig erfreut zeigen wie ich.
Ein Erkennungsmerkmal dieses Musikstiles ist zu meiner großen Verzückung – laut Wikipedia – dieser hier:
„In den Texten werden in einfacher Reimform Themen wie beispielsweise Liebe, Hass, Eifersucht, Sexualität, Religion und Tod thematisiert“
Es ist ja kaum erwähnenswert, dass diese Themenauswahl fast auf jede beliebige Spielart von Rock und Pop zutrifft. Schon immer speisen sich Songs aus den Dingen, die die Menschen eben hauptsächlich beschäftigen. Hmmm. Kann also eher nicht das Stilprägende an der Sache sein, und somit ist klar: Es geht also um den ersten Teil des Satzes, sprich: Die einfache Reimform.
So. Jetzt bin ich ernsthaft gekränkt, meine anonymen Damen und Herren. Das haben wir m.E. echt nicht verdient. Jahrelang versucht man (erfolglos?) die ausgefeiltesten Dinge zu kreieren und dann das?
Aber gut. Das ist vermutlich eine Frage des Standpunktes, liebe Poeten und Poetinnen.
Keine Frage des Standpunktes, sondern der gewissenhaften Recherche ist aber Folgendes:
Nein, die Band wurde nicht, wie es dort steht, „im Sommer 1999 von Sänger Alexander Frank Spreng (Asp) und den ehemaligen Gabi-Mohnbrot-Musikern Matthias Ambré (Matze), Andreas Gross (Tossi) und Oliver Himmighoffen (Himmi) gegründet.“
Eine Band haben wir damals noch überhaupt nicht gegründet. Ohne die hervorragende Arbeit meiner sehr geschätzten Mitmusiker schmälern zu wollen – sie wären die ersten, die bestätigen würden, dass das Projekt ASP allein von Matze und mir gegründet wurde. Die beiden anderen treuen Herren kamen tatsächlich erst dazu, als der erste Live-Auftritt anstand.
Es ist zwar nicht direkt unwahr, aber einen falschen Eindruck vermittelt folgende Info:
„Da die Band einen kurzen und einprägsamen Namen suchte, entschied man sich, die ganze Band ASP zu nennen.“
Du liebe Güte. Es gibt so viele schöne, kurze und prägnante Einsilber, da wäre doch etwas leichter Auszusprechendes (ohne die wenig zungenschmeichlerische Endung -sp) drin gewesen, oder?
Besser wäre sowieso, den Grund in seiner Gesamtheit zu präsentieren. Das könnte man folgendermaßen machen:
„Da man einen kurzen und einprägsamen Namen suchte und da der Sänger der Protagonist in einer von ihm selbst kreierten Welt sein würde und man damit seinem Erfindungsgeist, was die Schöpfungen um den Schwarzen Schmetterling und den Dunklen Turm angeht, Rechnung trug, entschied man sich, die ganze Band ASP zu nennen.“
Wenn das zu schwierig zu consumen für den durchschnittlichen User ist, dann kann man ja den Satz gerne mit ein paar gezielten Punkten (siehe Satzzeichen) unterteilen und dadurch angenehmer gestalten.
Okay. Dann kommen wir doch auch gleich mal zur Gliederung.
Sicher, jeder Text braucht ja eine Übersichtlichkeit, damit man sich gut zurechtfindet. Das sehe ich vollkommen ein.
Aber diese hier:
Gründung (1999–2003)
Mal ganz ehrlich. Wir haben doch nicht von 1999 bis 2003 gebraucht, um die Band zu gründen! Das ist doch wirklich Humbug. Eine Gründung ist doch ein Zeitpunkt, keine Zeitspanne.
Und dann kommt – Ihr ASP-Kenner werdet es schon ahnen, was dem Schreiberling wieder essigsauer aufstößt – die allerschönste Überschrift, um unsere nächste Phase zu beschreiben.
Ich zitiere:
„Kommerzieller Erfolg (2004–2006)“
Ich musste ja erst ein bisschen kichern. Aber dann war ich bestürzt. Geht's noch? Wer saugt sich denn, pardon, so ein gequirltes A-a aus den pseudotheokratischen Tippgriffeln?
Kommerziell erfolgreich? Wenn man das Bankkonto anschaut, dann sind wir es nie gewesen. Wenn man unter kommerziell jedoch die professionelle Vermarktung des Produktes verstehen soll, dann waren wir es seit der Bandgründung immer und sind es auch nach 2006 immer geblieben. Mensch, Freunde, so hoch kann ja die sprichwörtliche Palme gar nicht wachsen, wie ich sie raufmuss.
Meine Damen und Herren.
Jetzt gilt's! Ich rufe alle Leute auf, einen Nettomonatsverdienst für Künstler vorzuschlagen, einen Betrag, der die Grenze zur negativen Kommerzialisierung des künstlerischen Schaffens darstellt. Und wenn dieser festgelegt ist, dann darf man urteilen, ob einer von uns Taugenichtsen unter dieser magischen Grenze bleibt oder drüber ist. Und erst nach Überschreitung dieses Betrages darf er gesellschaftlich und in seiner Szene endlich geächtet werden. Und die Leute, die aus purer Leidenschaft musizieren und zufällig damit auch noch Erfolg haben, die haben eben Pech gehabt! Die werden gleich in Sippenhaft, mit den ganzen Verrätern an den hehren Zielen mit abgeführt. Ach, was sag ich, gleich alle in einen Sack und drauf auf dieses geldgeile Musikergeschmeiß! Für sein „Hobby“ auch noch Kohle einstecken. Ja wo kommen wir denn da hin?!
Diese Diskussion habe ich schon tausendfach geführt? Na klar. Und nichts würde ich lieber tun, als endlich damit aufzuhören, mich und die anderen Musiker zu verteidigen. Schließlich machen all die Leser dort draußen ihre Jobs ja ehrenamtlich.
Aber das Dumme in diesem speziellen Fall ist ja:
Wenn es bei Wikipedia steht, dann ist es nicht mehr die Behauptung eines einzelnen, sondern es wird automatisch zur Wahrheit für Viele.
Ich hör ja bald auf. Gibt ja noch einige Dinge, die ich merkwürdig finde in unserem Wikipedia-Eintrag. Aber mit denen könnte ich notfalls leben.
Dann aber die nächste Überschrift.
PAUSE (!) und Rückkehr (2006 bis 2009)
Pause? Na das wüssten wir aber! Im Jahre 2006 haben wir nicht nur zwei Headliner-Tourneen gespielt und fleißig CDs veröffentlicht, sondern auch eine komplette Doppel-CD geschrieben, arrangiert und aufgenommen. Ich habe mit Monozelle ein irre aufwändiges Artwork und dazu mit einer italienischen Druckerei nie dagewesene Techniken der Bookletherstellung ausgetüftelt. Dieses Album wurde dann Anfang 2007 veröffentlicht, es heißt Requiembryo.
Klar. Da war sicher mal irgendwann eine „Pause“. Die muss aber so unglaublich kurz gewesen sein, dass andere Leute sie zum Beispiel eher „Nachtschlaf“, „Nickerchen“ oder „dritter Sonntagnachmittag im Wonnemonat“ genannt hätten.
Erfreut zu lesen war ich übrigens, dass die abgebildeten Logos (das ASP-Logo habe ich persönlich entworfen) angeblich nicht die erforderliche Schöpfungshöhe erreiche und damit gemeinfrei sei. Gleiches gelte für das abgebildete Cover der Zaubererbruder-DVD. Stimmt so leider nicht.
Da ist wohl eher der Wunsch der Vater des Gedankens, denn die Werke sind in ihrer Gesamtheit durchaus urheberrechtlich und auch markenrechtlich geschützt.
Richtig schlimm wird es dann bei den zwei weiterführenden Links zum Thema „Der Schwarze Schmetterling“ und „Zaubererbruder – Der Krabatliederzyklus“ (Richtig: Der Krabat-Liederzyklus!). Mal davon abgesehen, dass sie nicht in besonders gutem Deutsch verfasst sind. Bei beiden Themen wird spekuliert, falsch zitiert (und verstanden) und unsauber Recherchiertes zu enzyklopädischem Wissen verwurstet. Zum Beispiel heißt es dort, es würde in der Erzählung vom Schwarzen Schmetterling (ja, das schreibt man als Eigenname stets groß) um einen Menschen gehen, der unter einer multiplen Persönlichkeit leidet. Das stimmt nicht. Sollte ich das tatsächlich irgendwann in volltrunkenem Zustand gesagt haben, dann sicher nur, um mich unter Vortäuschung von irgendwelchem psychologischen Fachwissen bei einer gut aussenden Dame dicke zu tun. Oder ich hatte in irgendeinem Interview endlich die Nase voll von der ständigen Behauptung, es wäre so, dass ich schließlich zugegeben habe, dass ich der Messias bin und nicht Brian.
Es stimmt nicht.
Stopp! Es ist wirklich so, dass mir nicht nur wegen der eigenen Geschichten und Lieder flau im Magen wird, nein, hier geht es tatsächlich noch um etwas Anderes als die persönliche Eitelkeit.
Was denn, wenn andere, viel wichtigere Artikel mit ebenso vielen Halbwahrheiten gespickt sind? Was, wenn jemand in einer Notsituation bei Wikipedia zum Thema „Kreislaufstillstand“ unter Hilfsmaßnahmen die Anweisung fände, man solle sich so ruhig wie möglich verhalten und unter den nächsten Tisch kriechen? Entschuldigung, an dieser Stelle sollte man nicht polemisieren.
Ich habe damals, als ich für meine Interpretation der Krabat-Geschichte recherchiert habe, eine Menge auch bei Wikipedia quergelesen. Klar, die richtig zitierten Quellen, die waren zu einem überwiegenden Teil aus der dazugehörigen Sekundärliteratur oder natürlich direkt aus den Werken derer, die vorher über das Thema geschrieben haben.
In den vergangenen Tagen habe ich viel darüber nachgedacht, ob die Begleittexte zu Zaubererbruder, die bisher nur in der Boxed-Version erschienen sind, tatsächlich wieder eine Veröffentlichung erfahren sollten. Nun erfüllt mich dieser Gedanke mit sanfter Scham. Habe ich mein Wissen aus halbgaren Quellen und schlecht recherchierten Unwahrheiten gespeist? Das mag für ein ohnehin nicht hundertprozentig auf historische Fakten basierendes Stück „Phantastik“ nicht relevant sein, aber mir wäre es natürlich trotzdem extrem peinlich.
(Wer die Box besitzt kann ja mal nachprüfen).
Ich will mal etwas Versöhnliches direkt vor mein kleines Fazit setzen, damit es nicht heißt, ich würde die ganze Zeit so kolumnenhaft daherjammern, wenn ich in meiner Kolumne daherjammere:
Sicher haben die Leute, die den ASP-Artikel pflegen, sich viel Mühe damit geben, anderen Leuten einen Überblick über uns, unseren Werdegang und unsere Werke zu vermitteln. Ich finde das prinzipiell ebenso zu befürworten, wie die offensichtlich vorhandenen Kämpfer für den „neutralen Standpunkt“, die jedes Wort auf die Goldwaage legen und genauestens unter die Lupe nehmen, ob es nicht gut kaschierte und schlau platzierte Werbung für ein Musikprojekt sein könnte, das man selbst überhaupt nicht leiden kann.
Ich komme langsam zu der Meinung, wenn das mit der so genannten Schwarmintelligenz nicht so hinhaut, weil ein bestimmtes Niveau nicht gehalten werden kann, dann lässt man es doch besser?
Ich will mich gar nicht zu einem öffentlichen Endurteil hinreißen lassen. Da haben andere Leute sicher mehr Ahnung und eine besser formulierte Meinung. Aber ich finde, darüber sollte man weiter nachdenken, wenn man eine kollektiven Intelligenz und deren Willen nach Austausch und geteiltem Wissen nicht folgender internettypischen Einstellung unterordnen möchte: „Ich darf was schreiben? Dann fühle ich mich dazu gezwungen, das auch zu tun. Egal ob der Beitrag von irgendeiner Relevanz ist.“ Die unendlichen Weiten des WWW herunter stilisiert zur unangenehmen Gesprächspause, die man unbedingt mit Gequatsche füllen muss, da man die Stille nicht erträgt?
Horror Vacui? Der unaufhaltsame Drang, die gefühlte Leere des Netzes auf Teufel komm raus zu verdrängen?
Darüber muss ich nachdenken. Wahrscheinlich sogar drüber reden. Vielleicht sogar mit echten Leuten an einem realen Ort.
Wenn unterdessen irgendjemand die Muße hat und sich mit dem Bearbeiten von Wikipedia auskennt… naja… das kann man ja wohl schlecht auch noch selbst erledigen, ohne rot zu werden.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Asp
Update am 11.09.2010
Liebe Journal-Leser,
mittlerweile haben sich wohl ein paar freundliche Geister um den Wikipedia-Artikel gekümmert, weshalb man die zitierten Stellen nun nicht mehr so lesen muss.
Hoffen wir, dass die Änderungen von Dauer sind, denn so gefällt es mir tatsächlich viel besser und der Wahrheit entspricht es natürlich so auch viel mehr.
Man kann aber dennoch aus dem Journal-Eintrag ganz gut erkennen, warum sich der Herr Schmetterling überhaupt zu ereifern bemüßigt fühlte…