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11. August 2008

Strahlender Sonnenschein und tiefschwarze Nacht.

So, das war es nun also, das wichtigste Konzert des Jahres. Schade.

Ein kleiner und ganz persönlicher Bericht vom diesjährigen M’Era Luna und auch während ich diese Zeilen an Euch schreibe, fühle ich ein dumpfes Grollen wie ein weit entferntes Gewitter.

Seit vor fast einem Jahr die Planung für dieses Festival im Dunklen Turm begann, wussten wir: „Das wird ein sehr wichtiger Moment für uns. Wir wollen unbedingt zeigen, was wir draufhaben bei diesem Auftritt.“
Wollen wir das nicht immer? Aber selbstverständlich wollen wir das immer. Nun, es ist trotzdem anders.

Anders einfach deswegen, weil das M’Era Luna definitiv das größte schwarze (in diesem Jahr: schwarz angehauchte) Festival in ganz Deutschland ist. Es ist anders, weil es sich um international bekannte Bands als Headliner bemüht und sogar große deutsche Bands der Szene wie wir um die heiß begehrten Positionen wirklich kämpfen müssen. Oh, und was haben wir gekämpft! Sämtliche verbalen Demütigungen und Herabwürdigungen, welche zum Verhandlungskanon der Branche gehören, haben wir tapfer ertragen, immer mit dem Bild des Straßenhändlers aus „Das Leben des Brian“ im Hinterkopf, um sich bewusst zu machen: „Die meinen das nicht persönlich, das gehört einfach zum Geschäftsgebaren.“
Business eben.

Wo wir gerade dabei sind. In den letzten Monaten und Wochen wurde uns ja zum ersten Mal langsam bewusst, welchen Stellenwert unsere Band mittlerweile wohl doch durchaus zu haben scheint (vielleicht hätte uns das ständige Sich-zufrieden-die-Hände-Reiben der Geschäftspartner schon früher alarmieren müssen?). Wer nun denkt, dieser Stellenwert messe sich an der überdurchschnittlichen Anzahl positiver Vorzeichen am Musikhorizont oder dem stetigen Anschwellen der Lobeshymnen auf unsere Kunst, weit gefehlt! Nein, es ist die zunehmende Härte der Business-Politik, die wir zu spüren bekommen und die uns deutlich anzeigt, wie dünn die Luft und frostig die Atmosphäre dort oben am Gipfel ist. Gipfel? frage ich mich immer wieder. Wieso reden alle schon von Superlativen, wenn mein Konto noch nicht mal die nötigen Einkünfte aufweist, um mal was für eine Absicherung für das – wenn es so weitergeht sich recht schnell einstellende – Alter auf die Kante zu legen? Hallo? Ist jemand da draußen, der tatsächlich denkt, irgendjemand in der großen weiten Pop- & Rockwelt würde uns tatsächlich wahrnehmen?
Ich will hier keine schmutzige Wäsche waschen, in der à–ffentlichkeit. Oder will ich das wirklich nicht? Ist es nicht gerade dieses Ehrgefühl, dieser eklatante Mangel an Arschloch-Sein, über den ich seit Jahren immer wieder stolpere? Dabei gelte ich doch überall schon als arroganter Arsch. Es wird mir doch schon nachgesagt, ich sei unbequem und hätte mich im Lauf der Jahre so sehr zum Schlechteren verändert usw. usf., „Asp, Du wirst schon sehen, was passiert, wenn man im Biz nicht nach den Regeln spielt.“
Hätte ich nach den Regeln spielen wollen, ich wäre wohl besser in die Werbung gegangen oder hätte eine Lehre als Bankkaufmann gemacht.

Lange Rede, kurzer Sinn: Alles, was ich Ihnen, lieber Leser, sagen möchte: Das vergangene Jahr war so hart wie keines zuvor und nicht selten war ich am Ende dessen, was Herz, Seele, Körper und Verstand bereit waren auszuhalten. Ich kam mir missbraucht, gedemütigt und gefangen vor. Immer gefangen im Dilemma, dass die Damen und Herren Mitverdiener genau auszunutzen wissen: Die Band ist alles, was ich, Asp, habe. Diese Leute haben immer viele, zumindest aber mehrere Eisen im Feuer. Wir haben das nicht. Also heißt es: Erdulden. Weiterkämpfen. Viel Vaseline bereithalten. Pardon.

Entschuldigen Sie den kleinen Ausflug. Sie werden schon merken, warum das wichtig war für meinen M’Era Luna-Bericht!

Vielleicht war der Druck auch deswegen so hoch. Dieses Konzert sollte einfach für zu vieles eine Belohnung sein, eine Entschädigung für uns. Wir haben deshalb unglaublich viel in die Vorbereitung auf dieses Großereignis investiert. Zeit. Nerven. Geld. Um ehrlich zu sein, haben wir sogar den überwiegenden Teil der recht großzügigen Gage wieder in diese Vorbereitungen und die Durchführung gesteckt.

Wir vier stehen hinter der Bühne. Hinter „unserer“ Bühne auf dem M’Era Luna. Irgendjemand fragt uns, ob wir bereit seien. Oh mein Gott, ja, wie sehr wir bereit sind! Bereit für die zigtausend Leute, auf die wir uns so sehr gefreut haben. Für die wir all dies vorbereitet haben. Denen wir zeigen wollen, warum wir es verdient haben, nach all den Jahren hier oben zu stehen. Ich habe kein Lampenfieber, nein, nein, es handelt sich hier wohl eher um einen Landebahnscheinwerfer-Brand allererster Güte. Wie so oft darf ich erst etwas später auf die Bühne, was in diesem Fall mein Glück ist, denn später würde ich erfahren, dass durch einen Kommunikationsfehler irgendwo auf dem Weg zum Technikturm, in dem unser Ton-Mann noch auf ein Zeichen wartet, noch überhaupt NICHTS bereit ist für das Auftauchen der Musiker. Angeblich lief noch die CD-Beschallung, als Himmi, Tossi und Matze die Bühne entern und schon unser eindruckvolles Intro auf dem Monitor haben. Leider sollten sie zu einem sehr ausgewählten Kreis gehören, denen dies Vergnügen zuteil wurde. Wären wir keine Rockband, sondern ein Indianerüberfall, dann wäre uns dieser Überraschungseffekt sicher sehr zugute gekommen. So allerdings...?
Als ich endlich zum Mikrofon komme, weiß ich allerdings nichts von alldem und DAS kommt mir auf jeden Fall sehr entgegen, sonst hätte ich die Beinkleider wohl gestrichen voll gehabt. Und dennoch! Was ich zuerst fühlte, war eine unfassbare Erleichterung. Denn es gibt einen Moment, der bei jedem Konzert gleich heikel ist: Das erste Benutzen des Mikrofons (in meinem Fall). Aber ich fühle mich vom Schicksal endlich einmal wieder geliebt. Ich kann sowohl mich als auch die Musik meiner Kollegen gut und deutlich hören. Leider bin ich so ziemlich der Einzige, wie es scheint, denn die uns wirklich ausgesprochen gewogene Menge, wie es den Anschein macht, verfällt in den nachfolgenden Songpausen in „Lauter! -Lauter! -Lauter!“-Sprechchöre, die uns wirklich enorm beunruhigen. Ich kann es nur hören. Sehen kann ich von all dem fast nichts, denn der unerbittliche Sonnenfluch von ASP hat wieder zugeschlagen. Kurz vor unserem Auftritt hat die Abendsonne es geschafft, die so wunderbar angenehme Wolkendecke aufzureißen, um uns – wie gewöhnlich – tiefstehend und intensiv in die Augen zu scheinen. Aua.
Egal. Ich versuche all dies auszublenden (haha, 5 Euro in die Wortspielkasse), die Probleme mit unbändiger Spiel- und Singfreude wieder gut zu machen und gesanglich aufzubieten, was ich habe. Und – man verzeihe mir das Eigenlob! – das ist beachtlich viel an diesem Tag. Ich habe so gut gesungen wie noch nie auf einem Open-Air, ich habe keine nennenswerten Texthänger oder sonstigen Probleme, selbst die Ansagen klappen ausgezeichnet. Pech nur, dass mir nur Unverständnis entgegenschlägt. Man scheint mich nicht recht hören zu können.
Ich blicke zu meinem alten Freund und Partner Matze, der aber ganz andere Probleme zu haben scheint und versucht, sich spontan ein paar Extra-Arme wachsen zu lassen, um der Technik-Crew auf irgendeine Weise zu signalisieren, dass etwas so gar nicht stimmt. Jetzt bloß nicht durchdrehen!
Ein kurzer Kapitänsblick zu Schlagzeuger und Bassist, während weiter Text aus meinem Mund fließt, von dem ich nachher nicht mehr weiß, ob er zu dem Lied gehörte oder ob ich anfange, meine Gedanken in Reimschemata zu pressen und in die sonnige und anscheinend viel zu wenig beschallte Festival-Welt hinaus zu singen.
Viel zu schnell ist es vorbei und ich habe trotzdem das Gefühl, dass wir verdammt gut waren, ich bin unglaublich stolz auf „meine Jungs“.
All das verfliegt ziemlich schnell, obwohl mir noch unfreiwillig eine kleine Gnadenfrist eingeräumt wird, bis die Hochstimmung verfliegt. Ich trete den langen Marsch in den Backstage-Bereich an, verschwitzt, verschmiert mit dem „Schwarzen Blut“, alle Glieder schmerzen mir im Leibe und ich stelle am Eingangsbereich fest, dass der nötige Pass, der mich zum Zugang in dieses Areal berechtigt, irgendwo auf der Bühne liegen muss, denn ich trage ihn nicht mehr am Leibe. Da hilft kein Betteln und kein Meckern: Ohne Pass komm ich nicht rein. Ich gehe also den ganzen Weg zurück und versuche jemanden zu finden, der statt meiner nun den Bühnenboden nach meinem Pass absucht. Es dauert lange, lange, lange, aber schließlich findet unser guter Monitor-Mann Max das wertvolle Stück und ich bin endlich wieder „berechtigt“.
Nach dieser Odyssee endlich zurück im Backstage-Raum schlägt mir eine Welle von schlechter Stimmung entgegen und ich erfahre das volle Ausmaß der Tragödie. Der arme Matze hatte anstatt des Konzerterlebnisses, das uns für all den Mist der letzten Monate entschädigen sollte, das komplette Kontrastprogramm. So ziemlich alles, was schief gehen konnte, ist schiefgegangen. Gitarre falsch verkabelt, Monitor ausgefallen, ein absoluter Blindflug. Ich merke recht schnell, es ist wirklich ernst und der sonst so besonnene Matze lässt Fatalismus erkennen. Das schlimmste Bühnenerlebnis der vergangenen 9 Jahre. Ich kann erstmal gar nicht viel sagen, stattdessen höre ich zu und putze mir dabei die Zähne, damit sie nicht dauerhaft schwarz gefärbt bleiben. Mechanisch.
Die nächsten Stunden vergehen wie im Traum für mich. Ich erfahre das komplette Ausmaß der Geschichte. Es wird gemutmaßt und Theorien werden aufgestellt. Das ist technischer Firlefanz, der mich in diesem Augenblick überhaupt nicht interessiert. Fakt ist: ASP waren zu „leise“. Es hat nicht gerockt draußen.
Ich kann nicht anders, als zu denken: „Oh nein! Und wir waren doch soo gut!“ Man verzeihe mir das, aber es gab auch schon Open-Airs, bei denen ich froh gewesen wäre, wenn man uns nicht so gut gehört hätte. Aber ausgerechnet heute?
Wir sitzen draußen und versuchen uns zu betrinken. Es wird laut diskutiert und Matze ist wirklich nicht zu beruhigen. Ich versuche es nicht, denn wir haben lange genug still gehalten und die Fehler immer nur bei uns gesucht, wenn was schief ging. Das mit dem Betrinken klappt nicht, ich nehme das ganze wahr, als würde ich direkt hinter mir stehen und als stiller Beobachter das ganze Geschehen verfolgen. Ah, da ist ja auch unser Boss, der Labelchef Alex. Einer von „denen da oben!“ und er kriegt nun ab, wofür er gar nichts kann, denn schließlich war es nicht seine Schuld, dass unser Auftritt draußen zu „leise“ war. Aber auch hier schreite ich nicht ein, als er die Tiraden über sich ergehen lassen muss, denn irgendwie denke ich: „Ach, schaden kann das auch nicht.“ Tschuldigung.
Ich weiß einfach: Matze muss nun dieses Ventil haben, ansonsten ist die ach-so-wundervolle Welt der Musik morgen um eine Band ärmer, eine, die nach momentaner Gefühls- und Selbstmitleidsstimmung sowieso niemand so recht vermissen würde. Und von mir aus kann er sich und uns um Kopf und Kragen reden, es ist mir völlig egal, wer von den Mr. Wichtigs das alles hört, was sich heute Nacht entlädt. Im Gegenteil. Mehr und mehr bin ich stolz auf meinen Freund und das sage ich ihm nun einfach. Sage ihm, wie verdammt stolz ich auf ihn bin, dass er trotz der vielen technischen Probleme solch ein Vollprofi auf der Bühne ist, dass er es weder die Fans noch mich spüren lässt und einfach trotzdem alles gibt, was er kann. Auch im Blindflug und nur nach Gefühl.
Ich weiß genau: Morgen ist sein analytischer Kopf und sein Sachverstand wieder zurück und wir werden die Fehler versuchen zu finden. Nicht die Schuld! Die Fehler. Und wir werden weiterkämpfen, weiter versuchen, uns zu verbessern. So wie wir es seit Jahren tun. Aber heute darf einfach mal getrauert werden um den Moment, der uns und unseren Fans unserer Ansicht nach geraubt wurde. Matze hatte vor 9 Jahren, als er mit seiner Freundin als Gast beim M’Era Luna war, versprochen: „Dort oben werden wir stehen und werden die Leute rocken.“
Wir werden wohl einen neuen Anlauf versuchen, wenn man uns lässt.
Schließlich schaffen wir es, uns in den extra für dieses Event gemieteten Nightliner zurückzuziehen und diesem Tag in Hypnos’ Armen zu entkommen.

Ich lag noch eine Weile wach und mir wollte der ironische Fingerzeig dieses Tages einfach nicht mehr aus dem Kopf.
Du hast heute gesungen, so wie Du immer singen wolltest. Wenn aber niemand da ist, der es hört, dann bleibt am Ende trotzdem nicht viel übrig.

Danke an alle, die uns über die Jahre gehört haben!

Asp